Grund­si­che­rung für aus­län­di­sche Per­so­nen

Grund­si­che­rung für aus­län­di­sche Per­so­nen
11.11.2016

200. Sit­zung des Deut­schen Bun­des­ta­ges vom 11. Novem­ber 2016

Sehr geehr­ter Herr Prä­si­dent! Sehr geehr­te Damen und Her­ren! Die bis­he­ri­ge Debat­te hat deut­li­ch gemacht, dass es am Ende um die Fra­ge geht, wie wir die sozia­le Waa­ge in Euro­pa gestal­ten, wie wir sie aus­ba­lan­cie­ren. Zur Frei­zü­gig­keit ist erst ein­mal fest­zu­stel­len, dass sie eine gro­ße euro­päi­sche Errun­gen­schaft ist. Es sind 4 Mil­lio­nen EU-Aus­län­der, die sich in der Bun­desrepublik Deutsch­land auf­hal­ten. Von die­sen sind 1,68 Mil­lio­nen sozialversicherungs­pflichtig beschäf­tigt. Sie leis­ten mit ihrer Erwerbstätig­keit einen wich­ti­gen, einen ganz ent­schei­den­den Bei­trag zur wirt­schaft­li­chen Dyna­mik, zur Ent­wick­lung in unse­rem Land. Sie leis­ten damit einen Bei­trag dazu, dass wir in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land heu­te eine Rekord­be­schäf­ti­gung haben. In mei­nem Bun­des­land Ber­lin sind ins­ge­samt 73. 000EU-Aus­län­der sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig beschäf­tigt. Sie wer­den vor allen Din­gen im Bereich der Krea­tiv­wirt­schaft, in den Start-ups gebraucht und leis­ten hier ihren Bei­trag zur wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung.

Es gibt aber noch eine ande­re Sei­te. Das ist der Grund, war­um wir die­ses Gesetz in der Form heu­te hier diskutie­ren. Auch die Staats­se­kre­tä­rin hat sehr deut­li­ch gemacht, was die Beweg­grün­de sind. Wir dis­ku­tie­ren es deswe­gen, weil es auch 440.000 EU-Aus­län­der gibt, die über Hartz IV, über auf­sto­cken­den Leis­tun­gen, Sozialleistun­gen in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land bezie­hen.

Es sind 46.000Personen in mei­nem Bun­des­land Ber­lin. Dar­an sieht man, dass die­ses The­ma vor allen Din­gen in Bal­lungs­ge­bie­ten eine gro­ße und bedeu­ten­de Rol­le spielt. Laut mei­ner Kol­le­gin Jut­ta Ecken­bach aus Essen, mit der ich mich zu die­sem The­ma auch inten­siv ausge­tauscht habe, gibt es auch dort Her­aus­for­de­run­gen für die Kom­mu­n­en, die wir gemein­sam gestal­ten und meis­tern müs­sen. Das, was von Ihnen, Frau Zim­mer­mann, ange­sprochen wur­de, dass wir die Kom­mu­n­en ent­las­ten müs­sen, das machen wir mit die­sem Gesetz. Ein Vier­tel der Kos­ten, die da anfal­len, wer­den bis­her von den Kom­mu­n­en getra­gen, und die wer­den in Zukunft nicht mehr anfal­len. Ich sage Ihnen: Sie haben es rich­tig ange­spro­chen. Wir set­zen es auch um.

In Ber­lin erle­ben wir, dass es in eini­gen Bezir­ken, etwa in Neu­kölln oder Fried­richs­hain-Kreuz­berg, zu ei­ner Bal­lung kommt, wodurch sich Pro­ble­me herausbil­den, die – das wur­de von der Staats­se­kre­tä­rin angespro­chen – durch­aus denen Raum geben, denen wir kei­nen Raum geben wol­len. Des­we­gen müs­sen wir han­deln, und wir han­deln an die­ser Stel­le auch sehr sach­li­ch und sehr abge­wo­gen. Wir wer­den noch im Lau­fe die­ser Debat­te, in einer Anhö­rung im Aus­schuss und in der wei­te­ren par­la­men­ta­ri­schen Befas­sung her­aus­ar­bei­ten kön­nen, wen es an die­ser Stel­le betrifft und für wel­che Per­so­nen es kei­ne Ände­run­gen gibt. Wir sind auch des­we­gen zum Han­deln gezwun­gen, weil es die­se bei­den bekann­ten gro­ßen Fäl­le Alimano­vic und Dano gibt, in denen der Euro­päi­sche Gerichts­hof fest­ge­stellt hat, dass es rich­tig ist, von SGB-II-Leis­tun­gen aus­zu­schlie­ßen, dass es aber über einen ver­fes­tig­ten Auf­ent­halt dazu kom­men kann und nach sechs Mona­ten muss, dass die Kom­mu­n­en unter­stüt­zen müs­sen, um das Exis­tenz­mi­ni­mum zu finan­zie­ren.

Des­we­gen regeln wir mit die­sem Gesetz­ent­wurf, dass Per­so­nen, die nur zur Arbeits­su­che nach Deutsch­land kom­men, in den ers­ten fünf Jah­ren von Sozi­al­leis­tun­gen nach dem SGBII oder SGBXII aus­ge­schlos­sen wer­den. Das ist eine sehr ver­nünf­ti­ge und abge­wo­ge­ne Entschei­dung, auch wenn man bedenkt, dass wir für die­je­ni­gen, die schon da sind oder die mit gro­ßen Hoff­nun­gen zu uns kom­men, ein­ma­li­ge Über­brü­ckungs­leis­tun­gen festset­zen. Die­se sehr sozia­le Gesetz­ge­bung hat das Ziel, für den­jenigen kurz­fris­tig, näm­li­ch inner­halb von vier Wochen und ein­ma­lig inner­halb von zwei Jah­ren, die Deckung der Bedar­fe für Ernäh­rung sowie Kör­per- und Gesund­heitspflege, die Deckung der Bedar­fe für Unter­kunft und Hei­zung sowie die Kos­ten für die not­wen­di­gen Arztbe­handlungen zu über­neh­men. Das Wich­tigs­te ist, die­sen Men­schen ein Dar­le­hen zu geben, wenn es dar­um geht, in ihre Hei­mat zurück­zu­ge­hen und sich wie­der eine Per­spektive auf­zu­bau­en. Ich glau­be, dass der Gesetz­ent­wurf, den wir machen, sehr sozi­al und abge­wo­gen ist. Es ist rich­tig, dass wir bestimm­te Grup­pen nicht ein­be­zie­hen.

Ich habe den Zwi­schen­ruf aus der Grü­nen­frak­ti­on von vor­hin über die auf­sto­cken­den Leis­tun­gen ver­nom­men. Wir ändern – das ist voll­kom­men rich­tig – an die­ser Stel­le nichts, weil es eben dar­um geht, dass Per­so­nen, die als Arbeit­neh­mer aus Euro­pa, aus der Euro­päi­schen Uni­on, viel­leicht mit Fami­lie, hier­her kom­men und arbei­ten, wei­terhin eine Unter­stüt­zung bekom­men, wenn die Bezah­lung im Beruf nicht aus­kömm­li­ch ist. Wor­über wir reden müs­sen – das sehen wir dezi­diert anders als der Koali­ti­ons­part­ner, da gibt es inhalt­li­ch durch­aus ande­re Auf­fas­sun­gen –, ist die Fra­ge: Wie geht man mit Selbst­stän­di­gen um? Ich spre­che von Selbststän­digen, die aus Grie­chen­land, Spa­ni­en oder Ita­li­en nach Deutsch­land kom­men, hier auf­sto­cken­de Leis­tun­gen be­antragen und deren Gewinn­ab­sicht nicht immer so klar ist. Die Fra­ge ist: Gibt es in die­sem Sin­ne eine Selbstständig­keit? Um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten, brau­chen wir noch viel stär­ker die Unter­stüt­zung der Behör­den und auch die Mög­lich­keit, zu über­prü­fen, ob eine Selbst­stän­dig­keit mit dem Ziel einer Gewinn­ab­sicht vor­liegt.

Abschlie­ßend die Fra­ge: War­um machen wir die­sen Gesetz­ent­wurf? Ers­tens. Wir wol­len unser Sozialsys­tem vor Miss­brauch schüt­zen. Zwei­tens. Wir stel­len fest und klar – dabei geht es um Rechts­si­cher­heit–, wer anspruchs­be­rech­tigt ist und wer vor allen Din­gen nicht anspruchs­be­rech­tigt ist. Drit­tens. Es gilt dann nach fünf Jah­ren der Grund­satz »For­dern und För­dern«. Ich glau­be, das ist eine rich­ti­ge und gute Ablei­tung aus die­sem Ge­setzesvorschlag. Wir freu­en uns auf die Debat­te und leis­ten damit un­seren Bei­trag dafür, dass Euro­pa, so wie es die Staatsse­kretärin gesagt hat, sozia­ler wird und die Regeln kla­rer wer­den. Wir las­sen nicht zu, dass Popu­lis­ten die Ober­hand gewin­nen. Vie­len Dank.