173. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 2016
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der heute dem Deutschen Bundestag vorliegende Antrag soll einen Beitrag zur Versöhnung der Völker leisten. Eine Aussöhnung zwischen Armenien und der Türkei ist nur möglich, wenn eine Aufarbeitung der Geschehnisse von 1915 und 1916 erfolgt. Ich bin Ihnen, Herr Kauder, sehr dankbar dafür, dass Sie am 25. Februar dieses Jahres die ausgestreckte Hand von Herrn Özdemir angenommen haben und dieses wichtige moralisch– historische Thema, bei dem wir als Bundesrepublik Deutschland eine Mitverantwortung tragen, eben nicht zum Parteiengeplänkel gemacht haben, sondern die Möglichkeit gegeben haben, es interfraktionell zu diskutieren. Noch einmal vielen Dank dafür an dieser Stelle.
Sie, Herr Özdemir, haben deutlich gemacht, dass es Ihnen um das Thema geht, um die Aufarbeitung und auch um die Fragestellung, wie unterschiedliche Völker in einer friedlichen Welt leben können. Sie haben Ihren persönlichen Hintergrund dargestellt. Bei mir ist es so, dass ich als Deutscher eine Mutter habe – sie sitzt heute auf der Besuchertribüne–, die in Armenien geboren ist. Ich habe zur Kenntnis genommen, lieber Albert, dass du heute etwas Armenisch gesprochen hast, die Sprache habe ich als Kind gelernt. So bin ich als Deutscher mit armenischen Wurzeln aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass es bei der Fragestellung des Genozids nicht darum geht, mit dem Finger auf andere zu zeigen und über Schuld zu diskutieren. Vielmehr geht es darum, Versöhnung und Aussöhnung zu ermöglichen. Das ist tief in meinem Bewusstsein verankert. Und weil das so ist, stellen wir dieses Thema eben nicht in den aktuellen Kontext. Wir sehen und bewerten, was die Türkei heutzutage für Flüchtlinge tut. 2,5 bis 3 Millionen Syrer bekommen dort Schutz und werden unterstützt. Die moralische Aufarbeitung des Genozids darf aber nicht in diesen Kontext gestellt werden.
Mit dem vorgelegten Antrag, den wir heute im Deutschen Bundestag verabschieden werden, machen wir der Bundesregierung gegenüber erstens deutlich, dass wir den Versöhnungsprozess unterstützen möchten, und zweitens, dass wir zivilgesellschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Aufarbeitung in Armenien und in der Türkei mit Projekten unterstützen wollen. Wir wollen, dass man sich in der Türkei, aber auch in Armenien mit wissenschaftlichen und kulturellen Fragestellungen beschäftigt, sich an die gemeinsame Geschichte und Kultur erinnert. Das dritte Thema in unserem Antrag – für mich übrigens vielleicht das wesentliche Thema in Bezug auf die Fragestellung einer friedlichen Zukunft – ist der Umgang mit dem Zürcher Protokoll, das – es wurde schon angesprochen – 2009 auf den Weg gebracht wurde, aber nun ins Stocken geraten ist. In dem Zürcher Protokoll geht es gerade darum, dass die Grenzen zwischen der Türkei und Armenien geöffnet werden. In diesem heutigen Europa, wo Mauern hochgezogen werden, wo Grenzen geschlossen werden, wäre es, auch von dieser Debatte ausgehend, ein starkes Zeichen, wenn es gelingt, dass die Grenzen zwischen der Türkei und Armenien geöffnet werden und dass die Armenier von mehr Handel und von mehr Möglichkeiten einer freien Grenzöffnung profitieren würden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank dafür, dass sich der Deutsche Bundestag entschieden hat, den Völkermord in dieser Form anzuerkennen.
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