109. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 11. Juni 2015
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen debattieren wir heute die Frage, wie es gelingen kann, Flüchtlinge schneller in Arbeit und Ausbildung zu bringen. Es ist – angesichts der emotionalen Debatte, die hier im Haus geführt wurde –, wie ich glaube, sehr wichtig, dass wir darüber sachlich diskutieren. Dafür ist es notwendig, dass wir uns mit den Zahlen derer beschäftigen, die nach Deutschland gekommen sind und hier Asyl beantragt haben.
Im letzten Jahr waren es knapp über 200.000 Menschen. Die Schutzquote derer lag bei 31,5 Prozent; das heißt, die Wahrscheinlichkeit, hierbleiben zu können und eine Perspektive zu haben, lag ungefähr bei jedem Dritten vor. Die größte Gruppe kam mit 41.000 Personen aus Syrien. Bei diesen lag die Schutzquote bei 90 Prozent. Wenn man die Bilder aus den Nachrichten kennt und wenn man weiß, was dort vor Ort passiert, dann ist es keine große Überraschung, dass die Zahl mittlerweile sogar gegen 100 Prozent tendiert. Für Serben, die zweitgrößte Personengruppe mit 27.000 Anträgen, lag die Schutzquote bei 0,2 Prozent; jeder Fünfhundertste hatte somit eine Bleibeperspektive. Wenn man die gesamten Westbalkanstaaten betrachtet, dann kann man von einer Schutzquote von 1 bis 2 Prozent ausgehen. Das heißt also, jeder Hundertste bis Fünfzigste hat eine Perspektive, hierbleiben und sich in die Gesellschaft integrieren zu können und auch perspektivisch hier arbeiten zu dürfen und natürlich arbeiten zu müssen; denn wir wollen die Menschen über Arbeit integrieren.
Wenn wir uns die Zahlen in den ersten Monaten anschauen – wir haben gehört, dass knapp 100.000 Flüchtlinge bisher schon nach Deutschland gekommen sind, davon mehr als die Hälfte aus den Westbalkanstaaten –, dann müssen wir die Diskussion sehr ehrlich führen. Wenn es darum geht, diese Zahlen nicht nur sachlich vorzutragen, sondern auch zu schauen, wie die Situation vor Ort ist, dann möchte ich in Richtung von Frau Zimmermann von der Fraktion Die Linke sagen, dass sich unsere Abgeordneten vor Ort natürlich die Einrichtungen ansehen. Meine Kollegin Frau Weiss schaut sich nicht nur in ihrem Wahlkreis die Einrichtungen an und redet mit den Menschen vor Ort, sondern sie macht seit 23 Jahren auch ein Projekt auf den Philippinen, mit dem sie versucht, die Entwicklung vor Ort zu unterstützen. Deshalb ist sie genau die falsche Person, die Sie kritisieren, weil sie sich angeblich nicht für die Flüchtlinge vor Ort interessiere und nicht mit den Menschen rede.
Weil wir uns für die Themen vor Ort interessieren, ist auch ein Großteil unserer Abgeordneten direkt gewählt. Das gilt für mich nicht. Aber man muss auch noch Ziele im Leben haben. Trotz allem habe ich mir am 27. Mai dieses Jahres alle sechs Einrichtungen, in denen Flüchtlinge in Lichtenberg untergebracht sind, angeschaut. Insgesamt sind dort knapp 2.000 Personen untergebracht. Auch hier gilt, dass über die Hälfte von ihnen, knapp 1.200, aus den Westbalkanstaaten kommen, deren Bleibeperspektive überschaubar ist. Aber immer mehr kommen mittlerweile aus Syrien und dem Irak. Wenn man sich mit diesen Personen unterhält, merkt man, dass sie gern in ihrem Heimatland geblieben wären, aber durch die Situation vor Ort hier eine neue Heimat suchen und natürlich auch – da haben Sie vollkommen recht – arbeiten möchten.
Das zeigt uns, dass wir als Gesellschaft die Verantwortung haben, Integration vernünftig zu gestalten. Ich komme aus einem Ostberliner Wahlkreis, wo die Debatten über dieses Thema am Anfang nicht immer einfach waren. Deshalb bin ich sehr glücklich darüber, dass durch die Diskussionen hier im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit mittlerweile sehr sachlich darüber gesprochen wird, wie man Flüchtlingen helfen kann, und dass die Gesellschaft vor Ort, die Vereine vor Ort, die Träger vor Ort und auch die politischen Parteien Verantwortung tragen und bereit sind, zu helfen, dass es einen großen gesellschaftlichen Konsens gibt, die Integration zu gestalten.
Was haben wir bisher getan? Man muss sich ja immer die Entwicklung ansehen. Wir als Bundesgesetzgeber haben noch im Jahr 2013 die Möglichkeit geschaffen, bereits nach neun Monaten eine Arbeit aufzunehmen, natürlich nur, wenn zuvor eine Vorrangprüfung stattgefunden hat. Ich höre aber von meinen Akteuren vor Ort, dass das in der Praxis kein Problem darstellt. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben im letzten Jahr dafür gesorgt, dass diese Frist auf drei Monate verkürzt wird. Wir als Gesetzgeber haben also eine Entwicklung aufgenommen und entsprechend gehandelt. Ich fand das sehr wichtig und richtig.
Jetzt ist der Antrag der Grünen eingebracht worden. Ich glaube, er verfolgt das Ziel, eine aus ihrer Sicht wichtige gesellschaftliche Debatte in Gang zu bringen. Der Fokus ist ein etwas anderer als der, den meine Fraktion hat; aber auch in diesem Antrag sind sehr vernünftige Forderungen enthalten. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den darin angesprochenen Punkt »Anerkennung von Qualifikationen«. Auch auf meiner Besichtigungstour am 27. Mai 2015 wurde mir deutlich: Das ist relativ klar formuliert und einfach beschrieben; aber wenn es in der Praxis darum geht, dass Menschen, die aus Syrien oder dem Irak geflohen sind, keine Urkunden darüber haben, dass sie ein Studium absolviert haben, entsteht im Zusammenhang mit unserer deutschen Bürokratie das nicht ganz einfach zu lösende Problem, wie man diese Qualifikationen anerkennt. Ich will deutlich sagen: Ich finde es schon wichtig, dass es für alles Urkunden gibt. Das ist sehr deutsch, sehr bürokratisch und sehr klar. Aber es gibt auch vor Ort viele Personen, die versuchen, zu helfen und Brücken zu bauen. In der Praxis wird geschaut, dass man zu Lösungen kommt; aber das dauert natürlich seine Zeit.
Das, was Sie in Ihrem Antrag formulieren, sind Punkte, die in der Praxis zum Teil umgesetzt werden. Das Asylrecht ist nicht dazu da, zu entscheiden, wer qualifizierter ist und deswegen eine bessere Perspektive hat, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Das Asylrecht ist geschaffen worden, um Menschen eine neue Heimat zu geben, die Schutz brauchen. Dafür wird sich die CDU/CSU-Fraktion weiter einsetzen. Vielen Dank.
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